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Dynamic Facilitation

Um was geht es?

Schwierige und verfahrene Situationen gehören zum Projektalltag. Das bremst das Projekt, Konflikte entstehen und mindert den Projekterfolg. Warum das so ist, warum solche Situationen grosse Chancen sind und wie wir sie positiv nutzen können, lesen Sie im folgenden Beitrag.

Von Peter Roth, 6. Dezember 2021

Die Herausforderung in Projektteams

Ein Projekt ist per Definition etwas Einzigartiges, etwas Neues, etwas, was noch nie so da war. Ein Projekt ist aber auch Teamarbeit, ein soziales System bestehend aus Spezialistinnen und Spezialisten mit Erfahrung und Wissen aus unterschiedlichen Bereichen, die zusammenarbeiten sollen. Häufig kennen sich die Projekteilnehmer anfangs nicht einmal. Dahinter stecken Menschen mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen, Werten, Muster, Verhalten und Arbeitsweisen. Extro- und introvertierte Persönlichkeiten, Wissenschaftler und Pragmatiker, Machtmenschen und Konsensbedürftige, Technikfreaks, kreative Marketingleute, und korrekte Buchhalter, Sportler, Familienmenschen, Gamer und Kulturschaffende, etc. Alle beteiligen sich auf unterschiedlichste Art und Weise am Thema. Vor allem Entwicklungsprojekte leben von der Diversität, wo die unterschiedlichsten Ansichten und Fähigkeiten zusammenkommen und etwas Neues entstehen lassen. Ein Projekt versucht diese Menschen zusammen zu bringen, ein gemeinsames Ziel zu verfolgen und das Beste aus dem Team hervorzulocken. Daraus entsteht Emergenz, das heisst als Team mehr zu erreichen als in der Summe der Einzelnen möglich wäre.

Kein Wunder also, dass es regelmässig zu diesen schwierigen und verfahrenen Situationen kommt. Da prallen die unterschiedlichsten Vorstellungen und Lösungsvorschläge aufeinander. Dabei bringt sich jeder Projektmitarbeiter unterschiedlich ein, laut und kraftvoll, subtil oder eher passiv. Während einzelne Meinungen dominieren, gehen andere unter. Dies beginnt bereits in der Startphase eines Projektes bei der Sammlung von Anforderungen an ein System, wo Zielkonflikte auftreten und ausufernde Bedürfnisse abgedeckt werden sollen. Das Ergebnis ist ein riesiger Anforderungskatalog oder Backlog, welcher in sich inkonsistent ist. Es geht dann über ins Design, wo verschiedene Architekturen, Strukturen und Abläufe diskutiert werden, bis zur Umsetzung, in welcher jeder eigene Arbeitstechniken anwendet. Solche Situationen haben vielfach mit Konsensbildung und Entscheidungsprozessen zu tun, was zum Projektalltag gehört.

Bei speziellen Anliegen kann das Team aber auch in eine Patt-Situation laufen, nicht mehr weiter wissen und eine gewisse Ohnmacht sich breit machen. Um diese schwierige, zeitraubende Konstellation zu beenden, gibt es dann häufig für eine Lösung einen sogenannten «Management-Entscheid», welcher über die Hierarchie, zum Beispiel durch die Projektleitung oder das Projektsteuerungsgremium, gefällt wird. Das kürzt zwar ab, macht jedoch nur wenige glücklich und hinterlässt vor allem auch Personen, dies sich als Verlierer sehen, weil sie eine andere Lösung bevorzugt hätten. Bei den Verlierern stellt sich ein Gefühl der Frustration ein, ein nicht ernst genommen werden, was sich wiederum in einem deutlichen Vertrauensverlust zeigt und sich verständlicherweise negativ auf die Motivation und somit den weiteren Projektverlauf auswirkt. Auch inhaltlich läuft man damit Gefahr, dass bestimmte wichtige Aspekte, welche noch nicht zum Vorschein kamen, nicht mehr berücksichtigt, und man sich deshalb damit nur für die zweit- oder drittbeste Lösung entscheidet.

Wie kann also das Projekt solche verfahrene Situationen handhaben und die offensichtliche gewünschte Diversität nutzen, um gute Lösungen zu erarbeiten, welche vom gesamten Team unterstützt werden? Diese gemeinsamen Lösungen sind dann auch ein wichtiges Highlight des Projektes und spornen das Projektteam umso mehr an, darauf aufzubauen und im Team konstruktiv weiterzuarbeiten. Offensichtlich handelt sich hier um einen kreativen Prozess eines sozialen Systems (Projektteam). Idealerweise wird dieser Prozess aktiv moderiert.

Ich bin der Meinung, dass diese Herausforderungen grundsätzlich zu einem komplexen Projekt gehören, ja sogar ein Projekt auszeichnen, und dass sich sowohl Auftraggeber, Projektleiter als auch das Projektteam dessen bewusst sein muss, dies akzeptiert und adäquat und mit Respekt angeht.

Dynamic Facilitation als Moderationsmethode zur Lösungsfindung

Dabei bilden zwei Themen die Grundlage für eine kreative, gemeinsame Lösungsfindung. Erstens eine offene, ehrliche Kommunikation, wo sich jeder Projektteilnehmer unabhängig von Position und Rang aktiv mit seiner ganzen Erfahrung und Kompetenz einbringen kann. Zweitens eine systemische Betrachtung der Herausforderung, wo wie bei einem Puzzle Teil für Teil zusammengetragen wird, bis sich eine Gesamtsicht bildet und die übergeordneten Zusammenhänge erkennbar werden.

Es gibt sehr viele Methoden und Modelle, wie Lösungen im Team moderiert werden können. Bei zunehmenden Konflikten (sachlich oder persönlich) können auch Mediationen oder sogar ein Schiedsgericht in Betracht genommen werden. Eigentlich ist es widersprüchlich, eine Methode aus Prozessen und Strukturen für einen kreativen Prozess verwenden zu wollen, da diese Prozesse und Strukturen die Kreativität einschränken. Im systemischen Kontext sind dazu offene Räume, Selbststeuerung und Reflexion unterstützend, damit sich soziale Systeme autonom konstituieren können und so zu einer gemeinsamen Lösung finden. Nun bin doch auf eine spannende Methode gestossen, die zu meinem systemischen Ansatz passt und sehr viel verspricht. Die Moderationsmethode heisst ‘Dynamic Facilitation’ und wurde von Jim Rough Ende der 90-iger Jahre in den USA entwickelt. Einige Jahre später kam es nach Europa und fand vor allem im deutschsprachigen Raum Anklang. Im Buch ‘Dynamic Facilitation’ von Rosa Zubizarreta (ISBN: 978-3-407-36686-3) wird die Methode einfach und verständlich beschrieben. Im Folgenden beschreibe ich kurz den Ablauf und das Resultat einer Moderation mit Dynamic Facilitation.

Der Ablauf einer Moderation

Eine Moderation mit Dynamic Facilitation wird in mehreren Sitzungen (meist 3-4) à 2-3 Stunden durchgeführt, je nach Thema. Es können zwischen 5 und 20 Personen teilnehmen, idealerweise aus den verschiedenen betroffenen Bereichen.

Bevor die Sitzungen anfangen, wird mit dem Auftraggeber der Kontext und die Absichten diskutiert und das Vorgehen der Sitzungen erläutert. Es können weitere bilaterale Sitzungen mit den Teilnehmern folgen, abhängig vom Thema.

In einer ersten Phase der Sitzung soll nach einer Einleitung jeder Teilnehmer seine Sicht der Dinge erläutern, einer nach den anderen, und die anderen hören zu. Er erhält so viel Zeit wie nötig. Der Moderator hört aktiv zu und notiert die Aussagen nummeriert auf vier Listen (z.B. auf Flipcharts), je eine für Herausforderungen, Lösungen, Bedenken und Infos. Sobald die erste Person vollständig ihre oder seine Sicht gegeben hat, wendet sich der Moderator der nächsten Person zu, bis schlussendlich alle sich aktiv mitteilen konnten. Auf diese Weise füllen sich die Listen enorm und jeder kann sich vollständig mitteilen. Bedenken oder Lösungen, welche bis jetzt im Hintergrund standen, erscheinen und ergeben so ein Gesamtbild und zeigen den «grösseren» Zusammenhang auf. Im Gegensatz zu anderen Moderationsmethoden sind mögliche Lösungen von Anfang an willkommen und werden auf der entsprechenden Liste notiert.

In der zweiten Phase der Sitzung diskutiert nun die Gruppe die gewonnenen Erkenntnisse, und der Moderator ergänzt die Herausforderungen, Lösungen, Bedenken und Infos mit weiteren Elementen. Entstehen bereits gemeinsame konkrete Massnahmen, werden diese separat dokumentiert. Die Gruppe durchläuft dann einen Prozess, wo Gemeinsamkeiten und Unterschiede (Konvergenz – Divergenz) sich abwechseln. Sobald eine gemeinsame Lösung vorhanden ist (meist auf einer gröberen Ebene) wird man konkreter und findet wieder zusätzliche Punkte zur Diskussion. Um sich das besser vorstellen zu können verwendet die Autorin ein Beispiel einer Familie, welche die Ferienplanung für den nächsten Sommer macht. Die erste Frage lautet, wohin die Reise geht. Der Vater möchte in den Bergen wandern, die Mutter etwas Kulturelles und die Tochter eigentlich nur an den Strand. Jeder erklärt seinen Standpunkt und diskutiert. Hat man sich dann auf eine Destination geeinigt, wo alle Bedürfnisse abdecken kann, folgt die nächste Diskussion darüber, wie wo die Familie übernachtet, im Hotel, eine Ferienwohnung, im Wohnwagen oder Zelt? Danach die Frage wie man dahin gelangt, Flugzeug, Zug oder doch Auto? Und so weiter, und immer konkreter.

In der Abschlussphase geht es darum, die konkreten, gemeinsamen Massnahmen zu vervollständigen und das weitere Vorgehen zu besprechen. Kamen noch keine gemeinsamen Massnahmen zusammen wird dies speziell besprochen.

Die Aufgabe der Moderatorin, des Moderators bei dieser Methode ist nicht das Führen eines Prozesses, sondern das «wirkliche» Zuhören der Teilnehmer sicherzustellen und damit die Selbststeuerung der Gruppe zu ermöglichen. Das wird mit dokumentieren der Aussagen auf den vier Listen unterstützt. Entsprechend gibt es keine Spielregeln, die die Kreativität der Teilnehmer einschränken könnten.

Das Resultat der Moderation

Der Ausgang einer solcher Moderationssitzung mit Dynamic Facilitation ist somit nicht vorgängig definiert. Es ist möglich, dass sich das Team in eine ganz andere Richtung bewegt als anfangs angenommen wird, weil neue, wichtige Erkenntnisse aufgetaucht sind. Es handelt sich somit um ein Experiment. Deshalb sind seitens Auftraggeber und Teilnehmer eine gewisse Offenheit und Vertrauen in die Methode nötig, was eine spannende, kreative Diskussion über schwierige und verfahrene Situationen ermöglicht. Ziel ist es, Lösungen zu erarbeiten, welche von allen aktiv mitgetragen werden. Entsprechend wichtig ist dann auch, dass die erarbeiteten gemeinsamen Lösungen aus den Sitzungen auch vom Auftraggeber und vom Management akzeptiert und getragen werden, was vorgängig zur Sitzung geklärt werden muss.

Fazit

Dynamic Facilitation ist für mich eine spannende Methode, um unterschiedliche Ansichten nicht in Konflikte gleiten zu lassen, sondern sie als etwas positives zu betrachten ("willkommen zu heissen") und sie miteinander kontruktiv und kreativ in das Ergebnis einzubauen, ganz im Sinne des Diversitäts-Gedanken. Weg von Problemen, hin zu Herausforderungen und gemeinsame Lösungen. Damit trifft die Methode eigentlich den Kern eines Projektes, wo einem Team die Aufgabe gestellt wird, zusammen etwas Grossartiges zu erreichen. Und anstatt, dass das Team in der Komplexität versinkt und daran zerbricht, wird es mit gemeinsamen Ergebnissen gestärkt und kann darauf weiter konstruktiv aufbauen und schöne Erfolge feiern.