Um was geht es?
Immer wieder wird Risikomanagement in Projekten nur halbherzig oder gar nicht angewandt.
Meist sei der Aufwand dafür zu gross und es bringe nichts, wird es begründet.
Fakt ist aber, dass jedes Projekt Risiken beinhaltet, da es per Definition einzigartig und ein Vorhaben in der Zukunft ist.
Für mich bedeutet das, dass ein Projekt ohne Risikomanagement die Risiken nicht bewusst und aktiv steuert, sondern dem Zufall überlässt.
Von Peter Roth, 27. August 2024
Was Risikomanagement braucht
Hier zwei konkrete Massnahmen, damit das Risikomanagement in Projekten zum Fliegen kommt:
- Risiken systematisch ableiten
Häufig besteht ein Risikoregister aus zufällig identifizierten, losen Einzelrisiken, welche wenig Bezug untereinander und zum Projekt haben.
Meines Erachtens hat jedes Projekt genau ein Hauptrisiko, nämlich dass der gewünschte Projekterfolg (welcher zu definieren ist) nicht oder ungenügend erreicht wird.
Alle weiteren Risiken werden von diesem Hauptrisiko abgeleitet.
So entstehen integrierte Projektrisiken wie zum Beispiel, dass die Projektkosten das Projektbudget überschreiten, das Projekt länger als vorgesehen benötigen, oder die erwartete Qualität und der daraus entstehende Nutzen geringer ausfallen könnte.
- Risikohebel identifizieren
Risiken und deren Auswirkungen werden zwar detailliert beschrieben, aber es ist unklar, welche Möglichkeiten bestehen, um die einzelnen Risiken zu beeinflussen.
Dazu benötigen wir die sogenannten Risikohebel, welche veränderbar sind und Einfluss auf die Eintretenswahrscheinlichkeit des Risikos und dessen Auswirkung haben.
Auf diesen Hebeln basieren dann die Massnahmen zur Linderung eines Risikos, wodurch sie sehr wirksam und steuerbar werden.
Mit diesen zwei Massnahmen erreichen wir nicht nur ein systematisches, effizientes und wirkungsvolles Risikomanagement. Wir erreichen auch ein besseres Verständnis der Problemstellung und der Möglichkeiten, wie das Projekt gesteuert werden soll.
Analogien im Sport
Da jedes Projekt einzigartig ist, ist es schwierig ein passendes, allgemein gültiges Beispiel zu finden, welches möglichst viele Personen verstehen.
Anhand eines neutralen Beispiels aus dem Sport möchte ich deshalb aufzeigen, wie ein wirksames Risikomanagement aufgebaut werden kann. Dabei berücksichtige ich die beiden oben genannten Tipps a) Risiken systematisch ableiten, und b) Risikohebel identifizieren.
Als Beispiel verwende ich die Sportart Mountain Biking. Analog könnte auch Skifahren, Surfen, Klettern, Wandern oder eine andere Sportart herangezogen werden. Diese Sportarten gelten gemeinhin als risikohaft, aber nicht als extrem risikohaft.
Im Allgemeinen ist diese Risikobeurteilung korrekt, es kann jedoch je nach Strecke und Umfeld von wenig bis sehr risikohaft reichen. Um das zu beschreiben, schauen wir uns die Unterdisziplinen des Mountain Bikings an.
So ist CrossCountry, also das Befahren von Wegen und schmalen Trails, in der Regel viel risikoarmer als die Disziplin FreeRiding mit grossen, schwierigen Sprüngen oder das Downhill mit schnellen und extrem steilen Abfahrten, wo sich die Anforderungen an Mensch und Bike drastisch erhöhen.
Da sich Mountain Biken aber vorwiegend in der Natur abspielt, können sich auf einer Strecke die Anforderungen auch vermischen. So kann sich auch eine CrossCountry-Fahrerin plötzlich vor einem sehr steilen, mit Absätzen versehenen Streckenabschnitt befinden.
1. Der Risikobaum
Das Hauptrisiko beim Mountain Biking ist das nicht Erreichen des Ziels. Das Ziel ist meistens eine Strecke zu befahren z.B. als Training, für einen Wettkampf, um eine Gegend zu erkunden oder einfach, weil es Spass macht.
Beim Mountain Biken gibt es vier Bereiche, welche zusammenspielen müssen, der Mensch, das Bike, die Strecke und das Umfeld. Mit dieser Struktur können nun vom Hauptrisiko folgende Risiken abgeleitet werden:
- Ungenügende Verfassung des Fahrers/der Fahrerin wegen Krankheit, Unfall, fehlender Ausdauer oder ungenügender Fahrtechnik
- Technischer Defekt am Bike
- Gesperrte Strecke wegen Unterhalt, Beschädigungen oder anderweitiger Benutzung
- Schlechtes Wetter oder ein Ereignis, das dazwischenkommt
Das Unfallrisiko ist wahrscheinlich das Risiko mit den grösstmöglichen Auswirkungen, vor allem in den erwähnten Disziplinen FreeRiding und Downhill. Darum möchte ich nun dieses genauer analysieren.
Das Unfallrisiko im Mountain Biking beschreibt das Risiko eines Sturzes mit Verletzungsfolge. Die Eintreffenswahrscheinlichkeit eines Sturzes liegt zwischen
>0% und <100%. Die Auswirkungen können von keinen, über leichte (z.B. Schürfungen), mittlere (z.B. Knochenbruch), grössere (z.B. mehrere Verletzungen, Operation notwendig) bis kritische Verletzungen (z.B. Lähmung, Kopfverletzungen) reichen.
Je nach Verletzungsart gibt es Folgeauswirkungen in privater (z.B. Spitalaufenthalt, Pflege und Unterstützung durch Dritten, Trainingspause, Verschiebung oder Absage von geplanten Aktivitäten wie Ferien, Events oder Wettkampfteilnahmen, Kostenfolgen)
und in beruflicher Hinsicht (z.B. Arbeitsunfähigkeit bis Berufsaufgabe, Lohnausfall, Abspringen von Kunden, Wegfall von beruflichen Chancen).
Eine solche Risikobeurteilung sensibilisiert für die Gefahren. Trotzdem hilft es dem Mountain Biker immer noch nicht weiter, wenn er/sie bereits auf dem Sattel sitzt. Man kann nur «ein wenig vorsichtiger» sein.
Darum ist es nun wichtig, sich den Hebeln des Risikos anzunehmen, um das Unfallrisiko positiv zu beeinflussen.
2. Die Risikohebel
Die vier Bereiche Mensch, Mountain Bike, Strecke/Hindernis und Umfeld, welche beim Mountain Biking zusammenkommen, beinhalten auch die Hebel, welche Einfluss auf das Fahren und somit auf das Unfallrisiko haben.
- Der Mensch, also ich als Mountain BikerIn, beinhaltet die Hebel: Fähigkeiten (Können und Erfahrung), Physische und psychische Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit, Ausrüstung und Tagesform.
Die ersten drei Hebel werden langfristig aufgebaut (z.B. mittels Training, Erfahrung), während die Tagesform kurzfristig «entsteht».
Bei allen Hebeln zum Mensch spielt eine möglichst objektive (Selbst-)Einschätzung eine wichtige Rolle, damit man sich in einer Situation nicht unter- oder überschätzt.
- Das Mountain Bike ist das Werkzeug des Menschen, das ihn/sie von A nach B bringt. Darum ist es wichtig, dass das passende Gefährt für die bevorstehende Strecke eingesetzt wird.
Die relevantesten Hebel dazu sind: der Biketyp und seine Geometrie, die Reifen, Bremsen und die Federung.
Das Bike muss zum Fahrer, zur Fahrerin passen.
Idealerweise sollte nun zur bevorstehenden Strecke das passende Bike ausgewählt werden, also ein CrossCountry-Modell für CrossCountry-Strecken und einen Downhiller für steile, schnelle Abfahrten.
Doch typischerweise besitzen die meisten Mountain Biker nur ein Bike und können nicht aus einem Fahrzeugpark auswählen. Diese Limitierung auf ein einzelnes Bike schränkt den Einsatzzweck und die zu befahrenden Strecken stark ein, respektive erhöht das Unfallrisiko, wenn das Bike nicht zur Strecke passt.
- Die zu bewältigende Strecke resp. das Hindernis beinhaltet die Hebel: Untergrund/Haftung, Neigung (auf und ab), Geschwindigkeit, allenfalls Sprünge, anzuwendende Fahrtechnik und möglicher Sturzraum im Falle eines Sturzes.
- Das Umfeld enthält die Hebel: Wind und Wetter, die Umgebung, das soziale Umfeld, die Sicht, die eigene zeitliche Planung in den kommenden Wochen/Monaten, und Unbekanntes.
Dabei sind Strecke/Hindernis und Umfeld die Bereiche, die sich laufend ändern und regelmässig und situativ neu beurteilt werden müssen.
Während wir auf den Menschen und das Bike aktiv Einfluss nehmen können, sind Strecke und Umfeld mehrheitlich gegeben, so dass wir darauf nur noch reagieren und die Bereiche Mensch und Bike darauf möglichst optimal abstimmen können.
Habe ich die passende Ausrüstung, das richtige Bike und das notwendige Können für die bevorstehende Strecke bei diesem Wetter?
Die Details der Hebel mit möglichen Fragen sind in der untenstehenden Tabelle aufgeführt:
Mit der konkreten Spezifizierung der Hebel und seinen Elementen können nun das allgemeine Unfallrisiko im Mountain Biking (auf die eigene Situation bezogen) mit Eintreffenswahrscheinlichkeit und Auswirkung beschrieben und beurteilt werden,
und spezifische, auf den Hebel basierende Massnahmen definiert werden, welche die Eintreffenswahrscheinlichkeit und/oder die Auswirkung beim Eintreffen des Risikos verringern.
Dazu gehören bestimmte Fähigkeiten zu lernen und passendere Ausrüstung oder Bike-Teile zu beschaffen.
Umgekehrt können mir nun die definierten Hebel in einer konkreten Situation, wo ich vor einer schwierigeren Abfahrt oder vor einem grösseren Sprung stehe, helfen, die Situation besser einzuschätzen und risikogerechte Entscheidungen zu treffen.
Der Nutzen für Projekte
Was hilft nun dieses Beispiel aus dem Sport in Projekten oder in der Organisation? Das Modell kann nun wie folgt übernommen und angepasst werden.
Ersetze den Mensch durch das Team, das Mountain Bike durch Werkzeuge, Methoden und Techniken, die Strecke / das Hindernis durch die Problemstellung und passe das Umfeld entsprechend an das Projekt an (z.B. Stakeholder, Reglemente und Weisungen, Auflagen und Rahmenbedingungen).
Dadurch erhält das Projekt und die involvierten Organisationen ein umfassendes, systematisches Risikomanagement, wo die Risikohebel bekannt sind und Massnahmen darauf basieren können.
Zusätzlich können im Tagesgeschehen oder bei wichtigen Entscheiden mit den Hebeln die passenden Entscheidungsgrundlagen geliefert werden und dadurch Risiken bewusst und unterstützend eingegangen, oder unnötige Risiken vermieden werden.
Versuchen Sie es. Überlassen Sie ihr Projekt nicht dem Zufall. Und falls Sie professionelle Unterstützung benötigen, dann können Sie mich gerne kontaktieren.
PS: Der fliegende Mountain Biker auf dem Bild oben bin nicht ich, sondern mein Sohn.